Gutes Feedback ist wichtig für das Lernen. Das ist spätestens seit der Hattie-Studie keine Neuigkeit. Doch damit Lernende von Feedback profitieren, müssen sie sich auch damit auseinandersetzen. Das klingt banal, ist in der Praxis aber oft eine Herausforderung – zum Beispiel nach der Rückgabe von Klausuren oder Klassenarbeiten. Denn der erste Blick gilt der eigenen Note, der zweite meist der des Nachbarn oder der Nachbarin. Lohnt es sich, stundenlang schriftliche Rückmeldungen zu verfassen, wenn sie ohnehin nicht gelesen werden?
Eine Studie von Carolina Kuepper-Tetzel und Paul Gardner, die 2021 in der Zeitschrift „Psychology Learning & Teaching“ erschienen ist, schlägt einen anderen Weg vor: Die Lernenden erhalten zuerst ein schriftliches Feedback und erst danach die Note.
Was wurde untersucht?
Ziel der Studie war es zu untersuchen, wie sich die Reihenfolge, in der Noten und Feedback gegeben werden, auf den Lernerfolg auswirkt. Dazu wurde eine Kohorte von Psychologiestudierenden zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe erhielt zuerst die Note für eine Kursarbeit und drei Tage später ein inhaltliches Feedback. In der anderen Gruppe war die Reihenfolge umgekehrt: Erst das Feedback, dann die Note. Ein Semester später wurde mit einer ähnlichen Aufgabe untersucht, wie sehr sich die Studierenden verbessert hatten. Und es zeigte sich: Die Leistungen der „Feedback zuerst“-Gruppe hatten sich signifikant stärker verbessert als die der „Noten zuerst“-Gruppe.
Dass sich die Lernenden auch bei gleichzeitiger Bekanntgabe von Note und Feedback eher auf die Note konzentrieren, als aus dem Feedback zu lernen, zeigt eine Begleitstudie. Hierfür erhielten die Studierenden eines Jahrgangs die Note einer Kursarbeit gleichzeitig mit dem Feedback. Für die Studierenden des folgenden Jahrgangs wurde das Feedback drei Tage vor der Notenbekanntgabe veröffentlicht. Wie in der ersten Studie wurde ein Semester später überprüft, inwieweit sich die Studierenden verbessert hatten. Auch hier zeigte sich: Während die Leistungen des Jahrgangs, der Noten und Feedback gleichzeitig erhielt, stabil blieben, verbesserten sich die Leistungen des „Feedback zuerst“-Jahrgangs signifikant.
Wie lässt sich das Ergebnis erklären?
Die Studienleiter stützen sich bei der Erklärung des Effekts auf Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Lernende ihre Leistung weniger gut einschätzen können, wenn sie zu sehr auf ihre Note fokussiert sind. Gerade Lernende, die mit ihrer Note unzufrieden sind, würden sich häufig nicht auf ein inhaltliches Feedback einlassen. Denn das Annehmen von Feedback ist ein emotionaler Prozess, der Offenheit und gegenseitige Akzeptanz voraussetzt.
Auch andere Studien belegen die Vorteile, die sich ergeben, wenn den Lernenden die Noten für eine gewisse Zeit vorenthalten werden. Eine Studie aus dem Jahr 1988 zeigte, dass Schülerinnen und Schüler, die nur ein Feedback, aber keine Note erhielten, sich stärker verbesserten als diejenigen, die eine Note mit Feedback oder nur eine Note erhielten. Und in einer Studie aus dem Jahr 2010, in der Lernende gebeten wurden, sich auf Grundlage eines Feedbacks selbst eine Note zu geben und diese Entscheidung zu begründen, gaben mehr als 60 Prozent der Lernenden an, dass sie sich mehr als sonst mit dem Feedback beschäftigt hätten.
Was heißt das für die Praxis?
Was einfach klingt, ist in der Schulpraxis oft nicht leicht umzusetzen. Zumal auch die Schülerinnen und Schüler selbst häufig nach Noten verlangen. Diese Erfahrung machte der britische Bildungsforscher Dylan Wiliam, der im angloamerikanischen Raum für seine Forschungen zum „formativen Assessment“ bekannt ist. Für den Dokumentarfilm „The Classroom Experiment“ führte er in einer achten Klasse in Großbritannien über mehrere Monate neue Unterrichtsmethoden ein, die den Fokus der Kinder vom Leisten auf das Lernen lenken sollten. (Teil 1 und Teil 2 sind auf YouTube verfügbar.) Unter anderem gaben alle Lehrerinnen und Lehrer in ihren Korrekturen nur ein inhaltliches Feedback; die Noten wurden erst viel später bekannt gegeben – durchaus zur großen Unzufriedenheit der Klasse. Allerdings, so berichtet es eine Lehrerin in dem Film, hätten die Schülerinnen und Schüler noch nie so aufmerksam die Rückmeldungen zu ihren Arbeiten gelesen.
Grundsätzlich brauche es zwar Noten (vor allem in den älteren Klassen), schreibt Wiliam in seinem später veröffentlichten Buch „Embedding Formative Assessment“, aber erst am Ende des Lernprozesses. Während des Lernprozesses sollten sie so selten wie möglich eingesetzt werden. Wiliam hält auch nicht viel von dem Vorschlag, die Note bekannt zu geben, nachdem sich die Schülerinnen und Schüler ausführlich mit dem Feedback auseinandergesetzt haben. Er schreibt: „Wenn der Zweck des Feedbacks darin besteht, den Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihre Arbeit zu verbessern, dann erscheint es etwas merkwürdig, ihnen am nächsten Tag eine Note zu geben, die lediglich die Qualität der nicht verbesserten Arbeit bewertet.“ Sie hätten durch die Beschäftigung mit dem Feedback ja dazugelernt. Wiliam schlägt stattdessen vor, den Schülerinnen und Schülern zunächst ein Feedback zu geben, ihnen dann Zeit zu lassen, ihre Arbeit zu verbessern, und dann das Endprodukt zu bewerten. Feedback solle Schülerinnen und Schülern entweder mitteilen, wie gut sie etwas verstanden haben, oder, wie sie sich verbessern können. Beides gleichzeitig zu versuchen, so Wiliam, führe dagegen nicht zum Erfolg.